Sophie Rowley erforscht Materialität, Nachhaltigkeit und den Geist des Designs


Zurück in die Zukunft

Von Rachel Miller

Die in Berlin ansässige Designerin Sophie Rowley hatten wir bei Pamono schon jahrelang auf unserem Design-Radar. Als Redakteur*innen und Kurator*innen gibt es für uns kaum etwas Schöneres, als Kreative zu zelebrieren, die ihre Fähigkeiten dafür einsetzen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Rowley hat den Schwerpunkt ihrer Arbeit darauf gelegt, aus Unnützem neue Schätze zu machen. Sie verwandelt Industrieabfälle in spektakulär aufwändige Werkstoffe, die in ihrer Form und Beschaffenheit natürlichen Materialien zum Verwechseln ähnlich sind. So sind beispielsweise ihre Perito Moreno Platters aus Altglas gefertigt; ihre Silverwood Door besteht aus recycelten Zeitungen; die Kaibab Bowls sind aus wiederverwertetem Matratzenschaumstoff und Farbe und für ihre Bahia Stools hat Rowley Jeansstoff-Produktionsabfälle benutzt. Wir haben Rowley in ihrem Studio besucht, um mehr über ihren hervorragenden alchemistischen Denkansatz zu erfahren.

Rowleys Studio ist klein und eher schlicht gehalten. Es befindet sich in einer alten industriellen Papierfabrik in Neukölln - einem Bezirk mit Ecken und Kanten, der von Hipstern, Vintage-Cafés und angesagten Bars dicht besiedelt ist. Eine Wand im Studio bietet Platz für eine provisorische Küche und ein Regal, das Rowleys Materialexperimente zur Schau stellt. In dieser spartanischen Umgebung präsentiert sie ihre Arbeit bescheiden, aber dennoch auffallend schön. In einer Ecke finden sich Papierrollen und stapelweise Platten ihres Bahia Denims; in einer anderen, die vom Licht des Fenster durchflutet wird, befindet sich ein kaputter Holzstuhlrahmen, den Rowley momentan restauriert. 

Ein Einblick in den Entstehungsprozess des Bahia Denims
Rowley ist unlängst von einem kurzen Aufenthalt in Japan zurückgekehrt, wo ihre Khadi Frays Woven Textiles als Finalist für den Loewe Craft Prize 2019 gekürt und in Isam Noguchis Stein-Innengarten “Heaven” in Tokio ausgestellt wurden. Nachdem sie zwischen der Nordinsel Neuseelands und Süddeutschland aufwuchs, war das Reisen und das damit verbundene Eintauchen in andere Kulturen ihre große Leidenschaft. Rowley zog, nach Aufenthalten in verschiedenen Teilen der Welt, nach Berlin, um Textildesign zu studieren und anschließend nach London, wo sie ihren Masterabschluss in Material Futures am Central Saint Martins College absolvierte.

In London beschäftigte sich Rowley zum ersten Mal ernsthaft mit der Arbeit mit Abfallmaterialen, obwohl sie sich auf diesem Gebiet bereits jahrelang versucht hatte. ”Ich schätze, es war schon immer etwas, das ich getan habe, aber es ist mir anfangs nicht wirklich aufgefallen,” so Rowley. “Schon während meines Studiums der Textilkunde in Berlin habe ich oftmals gefundene Materialien für meine Projekte verwendet.” Obwohl das Reisen und Nachhaltigkeit stets einen enormen Einfluss auf ihre Arbeit hatten, gibt Rowley zu, dass die Entscheidung, mit gefundenen Materialien und Produktionsresten zu arbeiten, eher von einer bescheidenen Motivation angetrieben wurde: Geld. “Als Studentin konnte ich nicht viel für Materialien ausgeben,” erklärt sie. “Also ging ich zu verschiedenen Fabriken und sammelte ihre Materialabfälle ein.” Das war sicherlich ein glücklicher Zufall, denn mittlerweile kann Rowley eine kleine Bibliothek neuer, von ihr erfundener, aus Abfall gefertigter Materialien, ihr Eigen nennen.

Bisher hat Bahia Denim eindeutig die meiste internationale Aufmerksamkeit erhalten. Bei der Herstellung schichtet Rowley die Denimreste in Gießformen und drückt sie mit Hilfe von Bioresin in Form. Sobald sie getrocknet sind, schnitzt sie jedes Teil von Hand, wodurch eine glatte Oberfläche entsteht, die an den brasilianischen blauen Marmor erinnert, nach dem Bahia Denim benannt ist. Da die Jeans unterschiedliche Waschungen haben, erscheinen diese wie Adern in Marmor, wodurch dem Material eine fantastische Tiefe verliehen wird.

Rowleys Khadi Frays Textilserie entwickelte sie kürzlich während eines einjährigen Aufenthaltes in Indien
Ein neueres Projekt sind die Khadi Frays, die Rowley während ihrer Zeit in Indien entwickelte, wo sie mit gleichgesinnten Designer*innen und Künstler*innen zusammenarbeitete, um traditionelle indische Handwerkstechniken auf Abfallmaterialen anzuwenden. Rowley experimentierte in ihrer Freizeit mit Khadi - handgesponnene, handgewebte Stoffe, die in Indien von besonderer Bedeutung sind, da sie von Gandhis Gedanken des Khadi-Geistes angeregt wurden. Diesem liegt der Zustand grenzenloser Geduld im Kampf für die Freiheit zugrunde. In der Kolonialzeit wurde ein Großteil der Baumwollfasern, die in Indien hergestellt wurden, nach Großbritannien geschickt. Khadi galt als “Proteststoff”, der in Indien für Inder*innen hergestellt wurde - als ein Mittel für die Bevölkerung, ihre eigene Wirtschaft zu unterstützen und von Großbritannien unabhängig zu werden.

Die Textilien der Khadi Frays werden aus natürlichem Leinentuch, groben Leinenstoffen und Baumwolle hergestellt, die in indischer Kurkuma handgefärbt werden
 Indem sie die aufwändige Arbeit zelebrieren, die hinter der Herstellung des Khadi-Materiales steckt, huldigen Rowleys Khadi Frays den Khadi-Geist und das Erbe Indiens. Durch die Umkehrung des Prozesses, das Schichten jedes Stoffstückes und das geduldige Lösen jedes Einzelnen der 10.000 Fäden - ein Prozess, der fast an ein Ritual erinnert - entsteht ein ausgefranster geometrischer Rahmen. Da die Kett- und Schussfäden sich unterscheiden, variieren die Schichten in Spannung, Farben und Textur. Das Endresultat ist ebenso komplex, reich und vielschichtig wie Indien selbst.

“Der Khadi-Geist spiegelt sich im Herstellungsprozess des Stoffes wieder, da dieser sehr manuell vonstatten geht”, erklärt Rowley, während sie mir Beispiele ihrer Arbeit zeigt. Eins davon ist mit Kurkuma in einem heiteren Gelb gefärbt. Sie lacht: “Meine Badewanne war monatelang danach gelb. Es ist schon sehr schön, die Stoffe selber zu färben, da ich so das Endresultat besser bestimmen kann, aber es ist eine unglaublich körperlich fordernde Arbeit.”

Rowleys auserkorener Weg ist nicht der Einfachste, insbesondere im Hinblick auf die bei Abfallstoffen üblichen Unbeständigkeiten. Unterschiedliche Flüssigkeitsgrade und abweichende chemische Komponenten im Lackabfall hindern sie beispielsweise daran, dieses Material weiterhin zu nutzen. Jedes neue Produkt muss durch Ausprobieren mehrfach getestet werden - und dieser Forschungs- und Entwicklungsprozess kann schnell teuer werden. Nichtsdestotrotz erhalten Rowleys Bemühungen, neue Materialien zu kreieren, durchaus Aufmerksamkeit. Derzeit testen Doktoranden der Technischen Universität Berlin die Dehnbarkeit von Rowleys Heliopora Foam. Ein erster Schritt, um zu bestimmen, ob dieser für die Großproduktion geeignet ist.

“Wir sind an einem Punkt in der Geschichte angekommen, an dem es nicht mehr möglich ist, etwas Neues zu erschaffen” sagt Rowley. “Vielmehr müssen wir Materialien nutzen, die bereits hergestellt wurden - die bereits ein Leben hatten - um Altes neu zu beleben. Darin besteht unsere Herausforderung.” Und Rowley ist bereit, sich dieser zu stellen. Sie plant, im Oktober zurück nach Mumbai zu reisen, um mit Studio Raw Materials zusammenzuarbeiten. Das Studio hat finanzielle Mittel erhalten, um einem gebräuchlichen indischen Naturmaterial zu arbeiten. Rowley ist sich noch nicht sicher, was sie herstellen oder erneuern werden, aber wir sind uns sicher, dass das Ergebnis ganz bezaubernd sein wird!

  • Text by

    • Rachel Miller

      Rachel Miller

      Rachel kommt aus Kalifornien, USA. Derzeit lebt sie in Berlin und macht in Literaturwissenschaften ihren Master. Wenn sie nicht gerade liest oder schreibt, ist sie auf der Suche nach Berlins bestem Craft Bier. Ihre Reiselust inspiriert sie zu großen Abenteuern an verschiedensten Orten auf der Welt sowie zuhause in ihrer Küche.

  • Übersetzung von

    • Pia Buchty

      Pia Buchty

      Pia wurde in Aachen geboren und wuchs im Süden der Niederlande auf. In Berlin verliebte sie sich, als sie die Stadt das erste Mal im Alter von 13 Jahren besuchte - danach stand für sie fest, dass sie dort leben würde. Nach 10 Jahren in der Hauptstadt genießt die sprachbegeisterte Studentin vor allem die vielseitige Natur, die die Stadt umgibt und die sie gemeinsam mit ihrer spanischen Hündin Lina erkundet. Momentan schreibt Pia ihre Masterarbeit in der Amerikanistik über Buffy the Vampire Slayer - eine Heldin, die sie schon seit ihrer Kindheit begleitet.

Designbegeisterte hier entlang