Über die Designliebhaber von Stilspiel in Berlin
Kreuzberg mit Stil
Nur einen Katzensprung von der belebten und beliebten Kreuzberger Oranienstraße entfernt, liegt Malte Henkels und Evelyn Langs Vintage Oase Stilspiel in einer ruhigen Seitenstraße mit einheimischen Flair. Obwohl es sich um das angesagteste Stadtviertel Berlins handelt, ist hier kein Tourist in Sicht. Das Straßenbild spiegelt dennoch 100% Kreuzberg und die lange Geschichte dieses Stadtteils mit seinen zugezogenen Arbeitern, Einwanderern, Anarchisten und Künstlern wieder. Der Laden und auch die Wohnung des Paares befinden sich in einem Gebäude des 19. Jahrhunderts, das im Gegensatz zum gegenüberliegenden, sehr nüchternen und mit Graffiti beschmierten 60er Jahre Wohnblock, von Efeuranken und einem freundlichen und lebendigen Charme umhüllt ist.
Im Laden selbst kommen weitere Kapitel der Geschichte zum Vorschein. Seit 2007 füllen Henkel und Lang den zweistöckigen Raum von Stilspiel mit einer bunten Mischung aus Designklassikern und Kuriositäten des 20. Jahrhunderts. Diese reichen von den reduzierten Bauhaus Silhouetten und dem skandinavischen Modernismus bis zu den vielseitigen Formen des Space Age der sechziger und siebziger Jahre. Die Designhändler haben sich sämtliches Wissen über ihre Sammlung selbst angeeignet. Mit großer Freude lassen sie Einen an ihrer Expertise teilhaben und klären über die Hintergrundgeschichten einzelner Fundstücke auf. Auch mit den einzelnen Materialien und Herstellungsverfahren sind sie vertraut, was ihnen ermöglicht, ihre angebotenen Vintage Stücke zu restaurieren und in ihren Originalzustand zurückzuversetzen. Da wir diese Liebe zum Detail teilen und sehr gut nachempfinden können, verbrachten wir einen Nachmittag mit den Besitzern von Stilspiel, um über Handwerkskunst, Ikea und das Leben in Kreuzberg zu sinnieren.
Matilda Lucy: Führt uns zurück zu den Anfängen von Stilspiel. Wie begann eigentlich alles?
Malte Henkel: Nach unserem Universitätsabschluss war uns klar: Wir wollen in Berlin bleiben. Ich studierte Kommunikation und Evelyn Kunstgeschichte. Zusammen wollten wir ein Gemeinschaftsprojekt starten und unsere Fähigkeiten und Leidenschaft einbringen. Für mich war es besonders wichtig einen Beruf auszuüben, in dem ich meine Hände und gleichzeitig meinen Kopf einsetzen konnte. Während meiner gesamten Studienzeit arbeitete ich nebenbei als Handwerker. Nach meinem Universitätsabschluss lernte ich ein Jahr lang von einem professionellen Restaurator das Wiederherstellen von Antiquitäten.
Die verlassenen Räumlichkeiten im Erdgeschoss dieses Gebäudes haben es uns sofort angetan. Schließlich konnten wir den Vermieter überreden, sie uns zu überlassen. In den ersten Monaten entwarfen wir zusätzlich noch eigene Möbel und bauten Prototypen, aber wir merkten schnell, dass die Zeit nicht für Alles reicht. Deshalb konzentrierten wir uns seitdem auf das Sammeln, die Restaurierung und den Verkauf von Vintage Stücken.
ML: Ihr habt euren Laden, eure gemeinsame Wohnung und eure Werkstatt im gleichen Gebäude. Wird euch das nicht zu viel?
MH: Wir lieben es, alles an einem Ort zu haben. Während der Laden geöffnet ist, können wir unten in der Werkstatt arbeiten. Wenn wir einen Kunden eintreten hören, können wir schnell die Holztreppe hochsteigen. Oben in unserer Wohnung experimentieren wir mit Möbeln und lernen dadurch viel über Design und Architektur. Wir beziehen teilweise unsere eigenen Möbel neu, um neue Materialien und Techniken auszuprobieren. Wir kombinieren dabei unterschiedliche Stile, um festzustellen, was zusammen funktioniert.
ML: Eure Sammlung vereint Designs von bekannten Designern des 20. Jahrhunderts mit unbekannten Stücken. Wie sucht ihr die Stücke für euren Laden aus?
MH: Nicht die Bekanntheit sondern die Qualität eines jeden Stückes ist für uns am wichtigsten. Wir beurteilen jedes Stück danach, ob es funktioniert und ob es den höchsten Qualitätsstandards entspricht. In unserer Werkstatt haben wir jahrelang Erfahrung in der Instandsetzung von Stücken sammeln können und können heute schnell feststellen, wie gut Entwurf und Produktion eines Stückes sind. Natürlich trifft man bei der Suche nach erstklassigen Entwürfen auf die großen Designer.
ML: Was sagst du als Vintage Experte über die preisgünstigeren, massenproduzierten Möbel, die in unserer Wegwerfgesellschaft existieren?
MH: Jeder besaß mal ein Billy Regal von Ikea. Das ist vollkommen normal und natürlich auch in Ordnung! In den letzten Jahren haben wir eine Veränderung in der „zweiten Welle“ der Möbelkäufer bemerkt. Menschen, in den Dreißigern, die zum ersten Mal etwas mehr Geld besitzen und die ihre Zeit Zuhause zunehmend wertschätzen. Sie wollen nicht zu den Müllbergen an weggeworfenen Möbeln beitragen, sondern stattdessen Qualitätsstücke kaufen, die beständig sind. Sie merken langsam, dass es sich rentiert, ihre Innenausstattung nach und nach aufzubauen. So entsteht ein einzigartiger Wohnraum mit Persönlichkeit, der von Dauer ist.
ML: Das bedachte und bewusste Leben feiert ein Comeback; das Augenmerk richtet sich auf traditionelle Herstellungsverfahren, wie etwa die Tischlerei. Habe ich es richtig verstanden, dass diese Werte schon seit Jahren in Deiner Familie existieren?
MH: Mein Großvater war Polsterer, mein Vater Leitender Ingenieur und meine Mutter nahm mich schon in sehr jungen Jahren mit auf Auktionen, wo wir auf die Suche nach Biedermeier Mobiliar gingen. Sie war so sehr in diesen Stil verliebt, dass sie Stücke in jedem erdenklichen Zustand mitnahm und als Hobby zuhause originalgetreu aufarbeitete. So lernte ich von meinen Eltern allein nur durch das Zuschauen schon viel.
ML: Eure Restaurationstechniken konzentrieren sich hauptsächlich auf die Wiederherstellung des Originalzustands. Wie steht Ihr zu dem momentanen Trend des Upcyclings oder der nicht originalgetreuen Restaurierung von Vintage Stücken?
MH: Ich denke alles was die Wiederverwendung von Materialien, die man sonst wegwerfen würde, mit einbezieht, kann nur als positive Sache angesehen werden. In diesem Sinne knüpft es an unsere eigenen Arbeitsprozesse der Erhaltung an, aber unterscheidet sich auch in einem wesentlichen Punkt. Unsere Arbeit konzentriert sich auf die Originalität des Entwurfs und zollt den ursprünglichen Ideen der Designer großen Respekt.
ML: Zurzeit stellt ihr die Stücke einiger Künstler neben euren eigenen Möbeln aus. Wie fließend ist für euch die Beziehung zwischen Kunst und Design?
MH: Obwohl wir uns auf Vintage Design spezialisieren, finden wir, dass eben dies der perfekte Ort ist, um zeitgenössische Kunst auszustellen. Die Grenzen zwischen den beiden verschwimmen zunehmend. Die meisten der Künstler sind in Berlin ansässig und haben ganz unterschiedliche Stile. Sobald uns die Arbeit eines Künstlers gefällt und wir denken, sie könne zu unseren Stücken passen, laden wir sie dazu ein bei uns auszustellen.
Evelyn Lang: Aus einer allgemeineren Perspektive betrachtet, entwerfen heute viele Künstler auch Einrichtungsobjekte, die nur in einer limitierten Auflage erscheinen. Diese Kunstobjekte sind heiß begehrt und erzielen Jahr für Jahr immer höhere Preise bei Auktionen. Eileen Grays "Drachensessel" beispielsweise wurde 2009 in Paris für über 20 Millionen Euro versteigert. Das war der bisher höchste Auktionserlös für ein Möbelstück des 20. Jahrhunderts. Design und Kunst sind sich heute näher als je zuvor.
ML: Wie lange seid Ihr in Kreuzberg schon zuhause?
MH: Fast 25 Jahre lang. Ich kam Anfang der 1990er nach Berlin, als es sich hier immer noch stark nach den Achtzigern anfühlte. Dann tat ich was alle jungen Neuankömmlinge in Berlin tun: Ich zog von Bezirk zu Bezirk bis ich mich endlich wohlfühlte und genau das tun wir jetzt in Kreuzberg.
ML: Ihr sitzt in der goldenen Mitte von Kreuzberg, wahrscheinlich der kreativsten Gegend Berlins. Wie habt ihr die Veränderungen hier über die Jahre wahrgenommen?
MH: Es sieht nicht mehr ganz so sehr nach den achtziger Jahren aus. Die Straßen sind viel sauberer. Seitdem ich hier bin, war Kreuzberg immer schon die Wahlheimat für eine breite Vielfalt an Menschen mit verschiedensten Wurzeln. Das finde ich klasse. Wir haben die unterschiedlichsten Restaurants genau vor unserer Haustür, weil so viele Menschen mit verschiedenen Hintergründen Kreuzberg als Zuhause sehen.
Natürlich kommt mit der positiven Veränderung auch der Nachteil der erhöhten Mieten. Alles in Allem denke ich aber, dass die Kreuzberger immer noch so politisch engagiert sind wie früher. Wir können uns hier immer noch schnell zusammenschließen und gegen drohende politische Veränderungen, die wir für falsch halten, ankämpfen. Das gefällt mir sehr.
ML: Was sind eure Lieblingsplätze in der Gegend?
MH: Als Teil des früheren West-Berlins kann man in Kreuzberg immer noch viele kleine handwerkliche Betriebe und Fachgeschäfte finden, die Werkzeug sowie Teile für Holzbearbeitung, Polsterung, Elektrik etc. verkaufen. Die früheren Ost Bezirke wie zum Beispiel Friedrichshain sind da nicht ganz so gut aufgestellt. Das bedeutet für uns, dass es sehr leicht ist Teile für unsere Restaurierungsprozesse zu finden.
Nach einem langen Tag in der Werkstatt genießen wir abends am liebsten die Grünflächen in der Nähe. Wir können eine 10km Runde laufen, die nur durch Parks und Grünanlagen führt. Diese Möglichkeit hat man in Berlin nicht so häufig. Zusätzlich gibt es in unserer Gegend viele tolle Restaurants sowie Street-Food Stände!
ML: Denkt ihr, dass eure Sammlung hauptsächlich Berliner anspricht?
MH: In Berlin sind aufgeschlossene und internationale Menschen zuhause. In diesem Sinne also, ja. Hier gibt es viel mehr Vintage Möbel Boutiquen als in den meisten Städten Europas – teils, weil die Nachfrage nach Vintage Designs hier einfach so groß ist. Demnach haben wir einen vielseitigen Mix aus verschiedenen Stilen in unserer Sammlung und Kunden, die aus New York und Tokyo zu uns kommen. Obwohl wir also unseren Sitz in Berlin haben, ziehen wir ein breites Klientel an.
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Text von
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Matilda Lucy
A sun-seeking Mancunian with a passion for all things French, Matilda taught English to sommeliers in the south of France and lobbied for international publishing rights in Brussels before moving to Berlin. Though she’s yet to win the Tour de France, Matilda can often be found cycling round Berlin, discovering the city’s endless hidden treasures.
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Fotos von
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Ramtin Zanjani
Ramtin wurde in Teheran geboren, aber ist seit acht Jahren in Berlin zu Hause. Er hat umfassende Erfahrung in der Werbefotografie, ist um die ganze Welt gereist und hält es für überaus romantisch, zu summen und dabei Knoblauch fein zu hacken.
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