Adam Štěch besucht Nanda Vigos Wunderländer


Verspielt und verspiegelt

Von Adam Štěch

Angesichts der Tatsache, dass verspiegelte Oberflächen, Neonröhren, gitterartigen Flächen und Kunstfell die Signaturen ihres Repertoires sind, sei die Annahme verziehen, dass Nanda Vigos Werke aus der Radical Design Bewegung der 1960er Jahre hervor gingen. Tatsächlich kreierte die bahnbrechende italienische Künstlerin und Architektin ihre radikalen Innenräume und Objekte schon vor dem bahnbrechenden Debüt von Superstudio und Archizoom im Jahr 1966. Ihre größten Inspirationen schöpfte sie aus den Gesamtkunstwerken moderner Architekten wie Frank Lloyd Wright, Giuseppe Terragni und Gio Ponti für den sie am Anfang ihrer Karriere einige Jahre arbeitete. Zur gleichen Zeit spielte sie eine wichtige Rolle in der avantgardistischen Zero Kunstbewegung. Unser Freund, Kurator und Historiker Adam Štěch, hatte das Glück die visionäre Achtzigjährige in ihrem Mailänder Apartment besuchen zu dürfen und kurz danach eines ihrer verbliebenen architektonischen Wunderwerke zu besichtigen. Wir freuen uns sehr, seine niedergeschriebenen Erfahrungen und Fotografien mit unseren Lesern teilen zu dürfen.    

Trotz ihres fortgeschrittenen Alters ist Nanda Vigo noch immer sehr aktiv. Während meines Besuchs lud sie mich enthusiastisch ein, ihre neueste Installation im Pallazo Reale zu besichtigen. Ihr Apartment, gelegen im Mailänder Zentrum (in den 1970ern erbaut), ist eine lebendige Galerie, die auf Schritt und Tritt neue Überraschungen birgt. Ihre Designs sind umgeben von einem kleinen Dschungel an Pflanzen, unendlichen Spiegelreflexionen, einer Schildkröte und einigen Papageien. Grünes, blaues und rotes Licht spiegelt sich auf den vielen Chromoberflächen. Dieser „Dschungel“ an radikalen Ausdrucksformen ist eine räumliche Manifestation ihres anhaltendenden ästhetischen Ansatzes und ein wahres Archiv ihres viel zu wenig beachteten Vermächtnisses.

Nanda Vigo, geboren 1936, eröffnete ihr Atelier in Mailand im Jahr 1959, nachdem sie am Institut Polytechnique in Lausanne studierte und einige Zeit in San Francisco verbrachte. „Ich wollte schon immer nach Amerika, als ich jedoch dort war erkannte ich, dass es nicht der richtige Ort war um die Theorie und Praxis des Designs zu erlernen,“ erinnert sich Vigo an ihre jungen Jahre. „In Amerika ging es mehr um Kunst oder Architektur, aber eine wirkliche Designszene gab es nicht. Im Gegensatz zu Italien war es hier schwieriger ein Projekt zu entwickeln oder mit Künstlern zusammenzuarbeiten. So habe ich mich also auf den Weg zurück nach Mailand gemacht.“ Nach ihrer Rückkehr freundete sie sich mit einer älteren Generation von Architekten an, darunter Gio Ponti und näherte sich den Anführern der Avantgarde, insbesondere den Künstlern um die legendäre Azimut Galerie. Ihr enger und talentierter Kreis umfasste Lucio Fontana, Enrico Castellani  und Piero Manzoni, mit dem sie bis zu seinem tragischen, frühzeitigen Tod 1963 zusammenlebte. Sie designte nicht nur, sondern positionierte sich vorausschauend zwischen den angewandten und bildenden Künsten, eines der zentralen Themen, die die Radical Design Bewegung einige Jahre später definieren würde.

Zusammen mit der gefeierten Zero Gruppe, die 1957 von Heinz Mack und Otto Piene ins Leben gerufen wurde, stellte Vigo in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Amerika aus. Bekannt wurde sie für ihre Cronotopo Skulpturen aus Aluminium und gemustertem Glas. Zu selben Zeit begann sie an Architekturprojekten zu arbeiten, die zu jener Zeit überraschten, wie dem mehrgeschossigen Friedhof in Rozzano (1959) und dem ganz in weiß gehaltenem Zero House in Mailand (1959-62). Zurückblickend sagt sie „Ich bin der Vision des großartigen Gio Ponti gefolgt; er näherte sich Flächen in einer umfassenden Weise, von den Teelöffeln bis hin zu Kunstwerken. Ich habe Architektur, Design und Kunst immer als Einheit in meinen Projekten betrachtet.“

Nanda Vigos Casa Blu (1967-1972) Foto © Marco Caselli; mit freundlicher Genehmigung von Nanda Vigo
Für Vigo war das Licht der Schlüssel zu ihrer bahnbrechenden Berufung. „Als ich sieben Jahre alt war, habe ich das Konzept der Schönheit entdeckt, als ich Giuseppe Terragnis Casa del Fascio in Como betrachtete,” erinnert sich Vigo. „Die Schönheit steckte für mich im Licht. Es veränderte die Architektur den ganzen Tag über. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden Lampen zu designen.“ Ihre minimalistischen Designs für Arredoluce in den 1960ern und 70ern stellten ein neues Lichtkonzept vor, indem verchromter Stahl mit innovativen technologischen Funktionen kombiniert wurde, wie bei der Golden Gate Floor Lamp (1970), die eine der ersten Halogenlampen Italiens war.

Einer der wenigen noch erhalten gebliebenen Innenbereiche Vigos ist das Haus, das für den Kunstmäzen und Sammler Giobatta Meneguzzo in Malo gebaut wurde. Das Haus selber, Lo Scarabeo Sotto La Foglia (der Käfer unter dem Blatt) benannt, wurde 1964 von Ponti designt, die Innenausstattung wurde Vigo anvertraut. „Meneguzzo wusste, dass ich mit Gio Ponti befreundet war,” so Vigo. „Als [Ponti] ihn fragte, ob ich die Innenausstattung übernehmen könne, stimmte er zu.” Der entstandene monochrome Raum - ausgelegt mit Keramikfliesen und grauem Kunstfell - integrierte Kunstwerke von Fontana, Castellani, Julio Le Parc, Raymond Hains und vielen mehr.

Vigo designte in den 1970ern mehrere ähnlich bezaubernde, mit Kunst versehene Wohnsitze, wie das Casa Museo Remo Brindisi in Lido di Spina nahe Ravenna, welches 1973 erbaut wurde und heute in seinem Originalzustand als Kunstgalerie geöffnet ist. „Viele wichtige Namen der Kunstszene kannten mich und baten darum, dass ich besondere Apartments für sie designte,“ so Vigo. „Zum Beispiel wurde mein Black Apartement nach der Idee meines Klienten designt, dass gute Kunst nur bei Kerzenschein betrachtet werden sollte. Also designte ich alles in dunklen Farben und machte Gebrauch von stimmungsvoller Beleuchtung. Ein anderes Appartment war ganz in gelb designt, da der Kunde aus Süditalien an die Farben seiner Heimat erinnert werden wollte.“ Vigo erzählt mir mehr über ihre Wohnkonzepte ohne Fenster, beleuchtet mit bunten Lichtern und Neonröhren, versehen mit glänzenden Oberflächen und natürlich durch die Kunstwerke betont, für die diese wundervollen Räume kreiert wurden.

Vigos spätere Arbeiten der 1980er und 90er Jahre bewegten sich weg von der Monochromie und hin zu einem vielseitigen Ansatz, beeinflusst von der neuen und angesagten postmodernen Theorie. Während die Designerin mehr mit Farben arbeitete, näherten sich ihre Designs den ausgelassenen Experimenten der Memphis und Alchimia Gruppen an. Ihre Light Trees Serie aus bunten Glasplatten und Stahlprofilen waren zu der damaligen Zeit sehr modern.

Ich habe Architektur, Design und Kunst immer als Einheit in meinen Projekten betrachtet.   Nanda Vigo in her Milan apartment Photo © Adam Štěch
Seit den frühen 1980ern stellt Vigo wieder weltweit aus und nimmt an wichtigen Kulturveranstaltungen wie der 40. Biennale in Venedig im Jahr 1982 teil. 1997 kuratierte sie die Ausstellung Piero Manzoni—Milano et Mitologia im Palazzo Reale, und seit dem Jahr 2006 befindet sich ein Teil ihrer Arbeiten in der Sammlung des Triennale Design Museums für italienisches Design. 2014/2015 wurden Ihre Werke anlässlich der Veranstaltungen zu Ehren der Zero Bewegung im Guggenheim Museum, in New York und im Berliner Martin-Gropius-Bau ausgestellt. Obwohl ihre Arbeiten meist in Galerien ausgestellt werden, hat sie kürzlich Produkte für Marken wie ArredoluceDriade, Flou, Glas Italia und Kartell designt. Vigos bekanntestes Möbelstück bleibt der Due Piu’ Chair für Conconi (1971), welcher getreu ihres Stils, modernes Design und Avantgarde zusammenbringt - das Stahlrohr nimmt Bezug auf die Funktionalität des Bauhaus während die Fellbezüge an die 60er Pop Art Epoche angelehnt sind.

Vigo bleibt seit fast 60 Jahren standhaft in ihrer vielseitigen, allumfassenden Vision. Seit den 1960ern stellt sie Lampen und Möbel her, die als Kunstobjekte im Geiste der kinetischen Kunst und der räumlich koordinierten Philosophie der Zero Bewegung aufgefasst wurden. Ihre eindrucksvollen Innenräume sah sie stets als gänzliche Kunstinstallationen, in denen sie bestrebt war, transformative ästhetische Erlebnisse und reine Lebensfreude zu schaffen. Nebenbei half sie ein Gefühl von Verspieltheit, spiritueller Symbolik und Ikonoklasmus im Design zu fördern, während sie eine herausragende Stellung innerhalb und außerhalb der Radical Design Bewegung der 1960er, 70er und 80er innehielt. Die Folgen, die aus den Bemühungen der damaligen Generation resultieren sind bis heute spürbar, da die Grenzen zwischen den Zweckmäßigkeiten des Alltags und der Imagination von Kunst inzwischen komplett verschwommen sind.

 

 

 

  • Text & Fotos von

    • Adam Štěch

      Adam Štěch

      Der in Prag lebende Adam ist Editor und Kurator. Er ist Mitgründer des kreativen Kollektivs OKOLO und schreibt für Publikationen wie Wallpaper, Coolhunting, Domus und Modern. Zusätzlich arbeitete er mit Phillips de Pury, SightUnseen, Disegno und Architonic zusammen.
  • Übersetzung von

    • Beata Konnak

      Beata Konnak

      Als gebürtige Polin lässt Beata nichts auf ihre Pierogi kommen. Ihre Kreativität lebt sie gerne in der Küche aus, wo sie zu Deutschrap den Kochlöffel schwingt. Als Sommerkind lässt sie keine Chance aus ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen, und ist dann meistens mit einem guten Buch in der Hand unterwegs. Die Wochenenden verbringt sie am liebsten mit Kurztrips durch Europa, wo sie immer auf der Suche nach dem schönsten Sonnenuntergang ist.

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