Freunde von Freunden nimmt uns mit ins Studio von Álvaro Catalán de Ocón.


Life-Work Balance

Von Freunde von Freunden

Dem Anschein nach lebt und arbeitet der spanische Designer Álvaro Catalán de Ocón in einem der weniger coolen Stadtteile von Madrid—was diese Gegend genau so cool macht, wie sie letztendlich auch ist. Hier gibt es keine trendigen Restaurants oder Läden. Galerien sind auch nicht anzutreffen. In diesem Winkel der Stadt schlendern keine Hipster durch die Straßen. Vielmehr erwarten den Besucher rar gewordene Authentizität und Fülle, die aus zentraler gelegenen Gebieten Spaniens schon lange verschwunden sind.

Catalán de Ocón ist für seine vielgepriesene PET Lamp bekannt geworden, ein Projekt, das Industriebeleuchtung mit regionalen Textiltechniken vereinigt. Es ist ein soziales und künstlerisches Unterfangen, das weiterentwickelt wird und bereits Gemeinden in Kolumbien, Chile und Äthiopien erreicht hat, mit weiteren in Aussicht. Es ist ebenso ein Projekt, das die Herangehensweise des Designers hinsichtlich seiner Arbeits- und Lebensweise verändert hat als auch die Räumlichkeiten, in denen er lebt und arbeitet. „Als Designer ist man anfangs immer daran interessiert, schöne Dinge herzustellen. Aber Schönheit sollte in allem, was man tut, präsent sein. Da steckt viel mehr dahinter.“

Freunde von Freunden besuchten Catalán de Ocón, um mehr über seine durchdachte und harmonische Lebens- und Arbeitseinstellung zu erfahren.

FvF: Du hast an der Universität Madrid BWL studiert bevor Du zu einer Karriere im Design übergegangen bist. Wie bist Du zu dem Entschluss gekommen, zu wechseln?

ACO: Als ich BWL studierte, wusste ich, dass es mich nicht wirklich interessierte. Ich malte und entwarf Skulpturen und interessierte mich sehr für Architektur—ich wusste, dass mein Leben nicht daraus bestehen würde, in einer Bank zu arbeiten. In meinem zweiten Jahr an der Universität leistete ich meinen Wehrdienst. In diesem Jahr stellte sich eine Wende ein. Ich beschloss, zwei weitere Jahre BWL zu studieren aber sofort im Anschluss habe ich eine weitere Hochschule besucht, um Design zu studieren. Zu der Zeit interessierte ich mich immer mehr für dreidimensionale kreative Praktiken und weniger für Grafik, Malerei und Fotografie. Mein Interesse galt mehr der Architektur und das brachte mich ein wenig mehr zu dem, was ich jetzt mache.“

FvF: Heutzutage bist Du hauptsächlich für Deine PET Lampe bekannt. Das Projekt verbindet Industriebeleuchtung mit regionalem Textilhandwerk und hat seine Anfänge in Kolumbien. Was hat Dich dort hingezogen und wie ist das Konzept der Lampen entstanden?

Álvaro Catalán de Ocón's daughter looking out from her bedroom © Era Azurmendi & Adrian Cano Franco; courtesy of Freunde von Freunden
 ACO: Meine Tochter ist halbe Kolumbianerin, also bin ich auf diese Weise mit dem Land verbunden. Im Sommerurlaub war ich mit einer Gruppe KünstlerInnen unterwegs, die mit Plastikflaschen ein Projekt im Amazonasstrom nachgingen. Zu der Zeit war ich auf der Suche nach einem Projekt, das ich in Kolumbien verwirklichen konnte, um das Land besser kennenzulernen in der dort sehr umfangreichen Handwerksszene mitzumischen. So fing alles an. Die ersten Prototypen der Lampe haben wir hier in Madrid entwickelt. Wir haben eine öffentliche Organisation, die Artesanías de Colombia, kontaktiert. Ihr Anliegen ist es, die Handwerkskunst in heimischen Gemeinden aufrecht zu erhalten. Dort haben wir 2012 gemeinsam unseren ersten Workshop gestaltet. 

Jetzt sind wir nach Chile und Äthiopien weitergezogen. Wir wollten wissen, wie das Konzept von unterschiedlichen Kulturen verstanden wird. Plastikflaschen gibt es immerhin überall. Das Herstellen von Körben ist eine der ältesten Handwerkstechniken, die die Menschheit je entwickelt hat und ist sogar älter als die Töpferei. Das Projekt diente mir als Vorwand, nicht nur Kolumbien besser kennenzulernen, sondern die ganze Welt. Es ist mehr als nur ein Designprojekt. Es ist eine Art, Leute zu treffen, die Welt zu sehen; nicht als Tourist, sondern als Einheimischer.

FvF: Hattest Du die Gelegenheit, die Handwerker kennenzulernen, mit denen Du arbeitest?

ACO: Ja, alle. Wir haben miterlebt, wie sich ihr Leben verändert hat, seitdem sie sich an dem Projekt beteiligt haben. In Kolumbien haben die Handwerker anfangs drei Stunden Strecke hinter sich gelassen, um sich an unseren Treffpunkt zu begeben. Jetzt besitzen sie Motorräder oder kommen mit dem Taxi. Es hat wirklich die Art und Weise verändert, wie sie in der Stadt leben. Sie haben ihr eigenes kleines Wirtschaftssystem aufgebaut. Heute sind sie Professionelle—können legal arbeiten; können Rechnungen stellen. Das Projekt ist zu einem Ausgangspunkt geworden, um ihre eigenen kleinen Unternehmen aufzubauen.

FvF:  Hat das Deine Arbeitsweise seit deinen Anfängen verändert?

ACO: Ja. Ich bin der Meinung, dass Designer nicht unbedingt eine persönliche Handschrift aufweisen müssen—stattdessen sollten sie eine Arbeitsweise vorzeigen. Das PET Lamp Projekt war die Antwort auf einen Auftrag und wenn ich einen anderen Auftrag erhalte, werde ich eine andere Antwort haben. Jedes Projekt bringt eine große Wirkung mit sich und gibt einem neue Werkzeuge als auch ein neues Verständnis für globale Probleme. „Ich bin der Meinung, dass Designer nicht unbedingt eine persönliche Handschrift aufweisen müssen“

FvF: Wie wird das Projekt sich Deiner Meinung nach entwickeln?

ACO: Es ist ziemlich groß geworden, deshalb ist es nicht so einfach handzuhaben wie anfangs. Hier in Madrid haben wir eine Organisation, die unsere drei Projekte in Kolumbien, Chile und Äthiopien leitet. Wir werden regelmäßig von verschiedenen Organisationen und Leuten angesprochen, die daran interessiert sind, ihre eigenen Projekte in anderen Ländern zu entwickeln. 2016 arbeiten wir an einem Projekt mit einer Aborigine Gemeinde Australiens mit einem Museum in Viktoria zusammen. Wir hoffen auch Workshops in Kyoto und Cape Town anbieten zu können. Inzwischen hat das Projekt ein Eigenleben bekommen—wenn jemand daran interessiert ist, das Projekt anderswo auf der Welt durchzuführen, soll er oder sie uns kontaktieren.

FvF: War es immer schon Deine Absicht, öffentlichen und privaten Raum innerhalb Deines Arbeits- und Lebensraumes zu integrieren?  

ACO: Es liegt in der Natur der Tätigkeiten, denen ich hier nachgehe. Tagsüber nutzen wir den Tisch als Treffpunkt für die sieben Leute, die im Studio arbeiten und abends benutze ich ihn mit Freunden als Esstisch. Die Hängematte funktioniert als eine Art psychologischer Grenze, wie eine Schranke, die öffentlichen und privaten Raum trennt. Ich habe ein paar Vorhänge aufgehängt, die ich für Zwecke der Privatsphäre schließen kann und habe auch eine Klingel von Droog Design angebracht. Der Vogel dort drüben, Pepe, kann jederzeit aus seinem Käfig hüpfen und umher fliegen.

 

FvF: Welche Bücher ziehen Dich am meisten an?

ACO: Ich kaufe sehr viele Kunstbücher. Auf die Literatur bezogen lese ich mehr Aufsätze als Romane. Momentan lese ich ein Buch von einem Koreanischen Philosophen, der in Berlin lebt und das ich ziemlich interessant finde (Die Müdigkeitsgesellschaft von Byung-Chul Han). Ich beziehe mich in meinen Werken ständig auf diese Bücher. Ich glaube stark daran, dass man Bücher, die einen anziehen, in dem Augenblick auch kaufen sollte. Wenn man sich in einem Bücherladen umsieht und sich von einem Buch angezogen fühlt, sollte man es an Ort und Stelle kaufen. Wenn man es erst 5 Jahre später kauft, wird es seine Anziehungskraft verloren haben. Ich habe mich über jedes einzelne meiner im Regal stehenden Bücher so gefühlt. Ich habe mein Gedankenkonstrukt über meine Bücher aufgebaut. Und da ich ein sehr schlechtes Gedächtnis habe, helfen mir die Bücher dabei, mich an meine Ideen zu erinnern.

FvF: Wie steht es um die Musik? Wer war Deine größte Inspiration?

ACO: Ich mag vielerlei Musikrichtungen. Bob Dylan ist eine große Inspirationsquelle für mich. Sein Leben ist mit seiner Arbeit stark verknüpft und was er macht ist so authentisch. Er erfindet sich immer wieder neu; immer auf der Suche. Er versucht nicht, „schöne“ Musik zu machen. Damit kann ich mich identifizieren. Als Designer bin ich an Komfort nicht besonders interessiert. Ich glaube, dass ein wenig Kälte und Hunger den Menschen wach und am Leben halten.

 

Danke an unsere Freunde bei Freunde von Freunden und an die Autorin Ana Domínguez Siemens für diesen Ausschnitt. Das ganze Interview gibt es hier.


  • Text von

    • Ana Domínguez Siemens

      Ana Domínguez Siemens

      Ana is an award-winning, Madrid-based design writer and curator who regularly contributes both to exhibition catalogues and publications such as AD España, Vogue España, Diseño Interior, and DAMn°.
  • Story von

    • Freunde von Freunden

      Freunde von Freunden

      FvF is an independent and international publication documenting inspiring people from diverse creative and cultural backgrounds.

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