Studio Kolk & Kusters aus Eindhoven mag es tiefsinnig


Zerbrechliche Schönheit

Von Rachel Miller

Verträumt, nachdenklich, faktisch fundiert und von Hand bis ins kleinste Detail gefertigt. Die Arbeiten von Duo Maarten Kolk und Guus Kusters aus Eindhoven sind in ihrer Erscheinung oft überwältigend – aber nie für schwache Nerven. Jede Arbeit fordert Rezipient*innen aufs Neue dazu auf, einen Gang runter zu schalten und sich der Welt, in der wir leben (und die womöglich bereits verloren ist), bewusst zu werden. Der hohe Anspruch hat dem Studio bisher keineswegs  geschadet. Kolk & Kusters sind die erklärten Lieblinge eines auserwählten und höchst loyalen Kerns der Designwelt. In regelmäßigen Abständen sind ihre Arbeiten bei Ausstellungen in so renommierten Einrichtungen wie dem Zuiderzeemuseum Enkhuizen, dem MU Eindhoven, dem Museum Boijmans van Beuningen Rotterdam und dem Design Museum Holon zu sehen.

Die stillen Aufsteiger lüfteten für unsere Redakteurin Rachel Miller das Geheimnis ihres Erfolgs. Hier sind die Höhepunkte des Interviews.

Rachel Miller: Wie würden Sie ihre eigene Ästhetik und Designphilosophie beschreiben? Welche Grundregeln und Inspirationen bleiben während der Arbeit immer im Hinterkopf?

Maarten Kolk & Guus Kusters: Wir konzentrieren uns bei allem immer auf die poetische und zerbrechliche Schönheit, die zu oft übersehen wird. Es sind die kleinen Details, die Dingen Leben und Seele einhauchen. Wir verwenden deshalb gerne Wörter wie „Stille“, „Bewegungslosigkeit“, „Abwesenheit“ und „Verbliebenes.“ Wir wollen vergangene Handlungen und getane Arbeit sichtbar machen – und so Narben und unbeständige Spuren zum Vorschein bringen. Wir geben der Arbeit eine Vorgeschichte, damit zwischen Objekt und Besitzer*in ein Gefühl von Intimität entstehen kann.

RM: Welchen Einfluss hat Ihre Umgebung auf Ihre Arbeit?

MK & GK: Unsere Arbeit ist zu einem großen Teil von der Natur inspiriert. Wir suchen immer wieder nach dieser Zerbrechlichkeit, die dort sehr präsent ist. Die Natur versucht nicht, Fehler zu vertuschen und wird auch nicht von Ehrgeiz angetrieben. Das kann eine verbogene Pflanze sein, die auf einer Seite mehr Sonnenlicht abbekommen hat als auf der anderen, oder ein Vogel, der nur zum Spaß in der Luft segelt. Momentan versuchen wir genau diese Beobachtungen auf einer abstrakten Ebene festzuhalten, durch ein bestimmtes Material oder Produktionsverfahren.

Wir haben viel Zeit in einer Keramikwerkstatt in den Niederlanden verbracht. Wir haben uns schon immer darüber amüsiert, welch unheimlichen Respekt Leute vor dem Töpfern haben – und wie schnell sie von ihren eigenen Versuchen frustriert sind. Wir haben uns einfach darauf eingelassen. Das Material leitet hier das Gespräch und formt einen einzigartigen Dialog. So kommt der individuelle Charakter und die Seele einer Arbeit nach und nach zum Vorschein, genauso wie in der Natur.

RM: Für wen sind Ihre Arbeiten gedacht?

MK & GK: Uns ist aufgefallen, dass unsere Kundschaft die erworbenen Objekte oft nicht öffentlich ausstellt, sondern sie lieber mit in ihr Schlafzimmer nimmt, sie auf den Schreibtisch oder an andere intime Orte stellt. Das gefällt uns sehr! Wir leben in einer Welt, in der täglich neuer seelenloser Müll produziert wird. Es ehrt uns sehr, dass Leute zu den Dingen, die wir machen, so intime Beziehungen aufbauen.

RM: Wie gehen Sie neue Projekte an? Wie läuft das ab?

MK & GK: Bei vielen Arbeiten setzen wir das fort, was wir woanders begonnen haben. Immer wieder bei Null anzufangen erscheint uns ziemlich naiv. Wir haben uns über die Jahre eine ganz eigene Datenbank mit Wissen und Techniken erarbeitet, auf die wir für jedes neue Projekt zurückgreifen können.

Farbe war für uns schon immer ein wichtiger Bestandteil von Design – sie gibt einem Objekt oder einem Raum oft eine ganz bestimmte Richtung. Unsere Vorliebe für Farbe ist bereits dem ehemaligen Leiter des Rembrandt House Museum aufgefallen. Er bat uns, Rembrandts Farbgebung in einen modernen Kontext zu setzen. Wir wandelten also Teile seiner Bilder in Keramiken und Textilien um. Hierfür befassten wir uns eingehend mit Tausenden Glasur- und Webtechniken und sprachen mit Rembrandt-Experten über Pigmente, Technik, die Bedeutung von Pinselstrichen oder Malgründen. Es wäre schade gewesen, diese umfangreiche Wissensdatenbank und erlernten Techniken nach Projektabschluss Ende 2016 verkommen zu lassen. Also haben wir dieses Wissen nicht nur auf verschiedene Designbereiche übertragen, sondern arbeiten gerade außerdem an einer Rembrandt-Farbpalette für die Ausstellungshallen des Museums De Lakenhal in Leiden. Dort sollen alte niederländische Meister wie Rembrandt neben moderner Kunst ausgestellt werden.

RM: Wie würden Sie vergangene Projekte beschreiben? Gibt es ein Projekt oder eine Zusammenarbeit, die Ihnen besonders ans Herz gewachsen ist?

MK & GK: Natürlich gibt es Dinge, die einem mehr bedeuten als andere. Dennoch fühlen wir uns mit allen unseren Projekten stark verbunden. Eine erwähnenswerte Geschäftsbeziehung, die wir sehr zu schätzen wissen und weiterhin pflegen, ist die zu unserem Designagenten Thomas Eyck. Er wurde zu unserem ersten Kunden als er damals Maartens Abschlussarbeit kaufte. Über die Jahre sind wir mit ihm in Kontakt geblieben. 2013 beauftragte er uns dann mit einem Geschirrset aus Porzellan, das wir auf den Namen Withering Tableware tauften. Für diese Arbeit haben wir den Verwelkungsprozess von Blumen in Geschirr übersetzt. Nach dem Projekt nahm Thomas Eyck einige unserer Arbeiten in seine Kollektion auf und wurde so zu unserem stärksten Vertreter. Er versteht unsere Leidenschaft und Motivation sehr gut und geht sehr respektvoll mit unserer Arbeit um.

Herbaria von Kolk and Kusters für Thomas Eyck, 2015 Foto © Studio MKGK
RM:
Gibt es einen roten Faden in Ihren Projekten?

MK & GK: Der rote Faden in unserer Arbeit ist wohl die zerbrechliche Schönheit, die wir festzuhalten versuchen und die Tatsache, dass unsere Entwürfe immer von Herzen kommen. Uns geht es nie um das Endprodukt, sondern mehr um diesen inneren Drang, etwas genauer zu betrachten. Ich glaube, gerade diese Nähe zu den Dingen macht eine Produktfamilie aus.

RM: Wie setzen Sie mithilfe Ihrer Wissensdatenbank konventionelle Formen und Materialien in neue Designs um?

MK & GK: Es ist uns wichtig, auf bestehenden Formen, klassischen Elementen und Referenzen aufzubauen. Dieses „Neue“ gibt es eigentlich gar nicht. Warum sich nicht auf das beziehen, was schon da ist, und ihm einen neuen Wert oder Kontext geben?

RM: Sie haben uns dieses Jahr auf der Salone gefehlt. Warum haben Sie nicht ausgestellt?

MK & GK: Wir waren dieses Jahr in Mailand nicht dabei, weil wir uns gerade auf andere Projekte konzentrieren. Im Vorjahr hatten wir unsere erste Einzelausstellung. Seitdem pflegen wir eine Hassliebe zu Mailand und haben uns dazu entschlossen, ein bisschen abzutauchen. Stattdessen haben wir in einem Mailänder Penthouse eine kleine Privatausstellung veranstaltet, an der nur geladene Gäste teilnehmen konnten. Wir selbst wie auch alle unsere Gäste wussten die Ruhe dieser Umgebung sehr zu schätzen – und die Tatsache, dass man sich während einer eher hektischen Veranstaltung wie der Salone richtig unterhalten konnte. Wir denken darüber nach, das Ganze nächstes Jahr zu wiederholen.

RM: Was steht für das Studio Maarten Kolk & Guus Kusters als nächstes an?

MK & GK: Wir freuen uns sehr auf unser nächstes Großprojekt – zeitgenössische Tattoo-Kunst. Wir interessieren uns schon lange für das Tätowieren, konnten uns bisher aber für keinen Stil entscheiden. Also haben wir kurzerhand unseren eigenen Laden Silent Mark Studio eröffnet. Die Tattoo-Branche beruft sich momentan noch stark auf bestehende Traditionen. Deshalb sind wir der Meinung, dass das Handwerk selbst ein noch viel größeres, oft übersehenes Potential bietet. Wir sind ohnehin ständig damit beschäftigt, Materialien und Handwerkskünste genau zu betrachten, um sie in neue Objekte zu transformieren. Also dachten wir uns, warum nicht auf der persönlichsten Leinwand überhaupt – der Haut – arbeiten? Gerade arbeiten wir an unserer ersten Tattoo-Kollektion und freuen uns auf die Eröffnung des Studios am 1. September in Eindhoven.

  • Text von

    • Rachel Miller

      Rachel Miller

      Rachel kommt aus Kalifornien, USA. Derzeit lebt sie in Berlin und macht in Literaturwissenschaften ihren Master. Wenn sie nicht gerade liest oder schreibt, ist sie auf der Suche nach Berlins bestem Craft Bier. Ihre Reiselust inspiriert sie zu großen Abenteuern an verschiedensten Orten auf der Welt sowie zuhause in ihrer Küche.

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